Von Katharina Schuster und Michael Keßler am 14. November 2023

LAG Mecklenburg-Vorpommern zur mehrstündigen Bahnfahrt trotz Krankmeldung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern entschied im vorliegenden Fall (Urt. v. 13.07.2023, Az: 5 Sa 1/23) in zweiter Instanz über die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Urt. v. 29.11.2022, Az: 2 Ca 151/22). Gegenstand des Verfahrens war der Streit über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Zum Arbeitsverhältnis der Parteien

Der Kläger war seit dem 01.01.2020 als Chefarzt der orthopädischen Abteilung einer Reha-Klinik angestellt, welche durch die Beklagte betrieben wird. Am Standort der Klinik hatte der Kläger eine Zweitwohnung, der Familienwohnsitz lag jedoch ca. 1.000 km entfernt in Süddeutschland. Am 16.08.2021 kündigte der Kläger fristgemäß sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 28.02.2022.

Die Krankmeldung des Klägers

Wie das Gericht herausarbeitete, meldete sich der Kläger zwischen Kündigung und dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses nachvollziehbar für einzelne Tage bzw. kürzere Zeiträume krank. Zu Differenzen zwischen den Parteien führte jedoch eine Krankmeldung des Klägers für den Zeitraum vom 09.02.2022 – 21.02.2022. Der Kläger hatte sich zunächst für den 09.02.2022 krankgemeldet und war am selben Tag mit zehnstündiger Bahnfahrt erster Klasse nach Hause gefahren, um seine dortige Hausärztin aufzusuchen, welche ihm Bluthochdruck, Kopfschmerzen, ein HWS-Syndrom sowie Myogelogen diagnostizierte und entsprechend behandelte.

Zweifel an der Erkrankung durch die Arbeitgeberin

Die Beklagte hatte Zweifel an der Erkrankung des Klägers. Nicht nur, dass er zehn Stunden mit der Bahn habe fahren können, sondern sei er auch bis zum 21.02.2022 krankgeschrieben worden, habe „passenderweise“ ab dem 22.02.22 auch seinen planmäßigen Resturlaub angetreten. Daraufhin zahlte die Beklagte dem Kläger den Lohn im während der Krankheitstage nicht aus. Hiergegen wehrte sich der Kläger gerichtlich und bekam vor dem ArbG Stralsund Recht. Dies bestätigte auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern auf die daraufhin eingelegte Berufung der Beklagten. Das ArbG Stralsund orientierte sich in seinem Urteil an den Maßstäben des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und sah den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) für das Vorliegen einer Erkrankung beim Kläger nicht als erschüttert an. Insbesondere die mehrstündige Bahnfahrt widerspreche nicht den ärztlich gestellten Diagnosen.

Zum Beweiswert einer AU-Bescheinigung

Dies bestätigte auch die Entscheidung im Berufungsverfahren. Das Gericht sah den Zahlungsanspruch des Klägers aus §§ 3 Abs. 1 S. 1, 4 Abs. 1 EFZG als erwiesen an. Dabei führte das Gericht aus, dass der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich ein hoher Beweiswert zukomme. Dieser könne durch den Arbeitgeber erschüttert werden, soweit dieser tatsächliche Umstände darlege und beweise, die erhebliche Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers begründen. Dies könne zum Bespiel bei auffällig häufigen oder auffälligen Erkrankungen nur für kurze Dauer (vgl. § 275 Abs. 1a SGB V), passgenauer Krankschreibung zur Kündigung, aber auch sportlichen Aktivitäten während der Krankschreibung der Fall sein. Habe der Arbeitgeber den Beweiswert der AU einmal erschüttert, liege es wieder beim Arbeitnehmer, eine bestehende Erkrankung nachzuweisen.

Bahnfahrt erschüttert Beweiswert der AU nicht

Nur weil der Kläger sich vorliegend nach eingereichter Kündigung habe krankschreiben lassen, begründe dies nicht per se einen Makel an der Krankschreibung. Auch sei die Belastung einer Bahnreise nicht annähernd mit denen seiner Chefarzttätigkeit vergleichbar. Die Art der Erkrankung habe nicht erfordert, dass der Kläger umgehend einen Notarzt aufsuche. Stattdessen die Bahnfahrt auf sich zu nehmen, um sich durch die Hausärztin behandeln zu lassen, sei hingegen durchaus nachvollziehbar im Sinne einer raschen Genesung.

Auch habe der planmäßige Urlaubsantritt hierauf keine negativen Auswirkungen. Der Kläger habe selbst den Urlaub weiterhin für die Genesung nutzen können, statt sich auch für den vorab vereinbarten Urlaub krankschreiben zu lassen gem. § 9 BUrlG. 

Sollten Sie aufgrund von Differenzen im Zusammenhang mit einem Anstellungsverhältnis eine rechtliche Beratung benötigen, steht Ihnen das Team von KESSLER mit langjähriger Erfahrung im Bereich des Arbeitsrechts gerne zur Seite.

Siehe auch: NZA-RR 2023, 526.