Von Jan-Philipp Lautebach und Michael Keßler am 21. November 2023

BAG: Videos aus Videoüberwachung als Beweismittel gegen Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess

Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 29.06.2023 (2 AZR 296/22) nochmals konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen Videomaterial aus Videoüberwachung als Beweismittel im Kündigungsschutzprozess verwertbar ist. Nach Aufkommen der Debatte über die Zulässigkeit von Videoüberwachung am Arbeitsplatz in den 2000er Jahren, fand die Rechtsprechung recht schnell konkrete Leitlinien. Das BAG hat nun weitere Aspekte ergänzt.

Bisherige Rechtsprechung

Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen zwei Fallgruppen der Videoüberwachung:  die offene und die verdeckte.

Die offene Videoüberwachung ist nach ständiger Rechtsprechung zum präventiven Schutz von Eigentum des Arbeitgebers und der Verhinderung von Pflichtverletzungen grundsätzlich zulässig. Eine Unzulässigkeit kann sich jedoch ergeben, wenn einzelne Arbeitnehmer besonders unter Verdacht gestellt werden oder wenn durch den Umfang der Videoüberwachung ein psychischer Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugt wird. Eine (Rück-)Ausnahme hiervon besteht jedoch bei dem begründeten Verdacht einer schweren Pflichtverletzung durch einen Arbeitnehmer.

Die verdeckte Videoüberwachung unterliegt strengeren Anforderungen. Hier werden die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer stärker beeinträchtigt, sodass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Erforderlich ist, dass tatsächliche Anhaltspunkte einen Verdacht auf Begehung einer Straftat im Beschäftigungsverhältnis begründen. Die Verarbeitung der Überwachung zur Aufdeckung der Straftat muss zudem erforderlich sein. Außerdem darf das schutzwürdige Interesse des Arbeitnehmers auf Ausschluss der Überwachung im Hinblick auf Art und Ausmaß der Überwachung nicht überwiegen. Unzulässig ist zudem eine Überwachung „ins Blaue hinein“. Zufallsfunde können jedoch verwendbar sein, wenn das Beweisinteresse gegenüber dem Persönlichkeitsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt. Arbeitgeber sollten zudem bedenken, dass der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch hat, wenn er unzulässiger Videoüberwachung ausgesetzt war.  

Urteil des BAG: Datenschutz ist kein Tatenschutz

Im vorliegenden Fall hatte das BAG über eine Kündigung aufgrund von Arbeitszeitbetrug zu entscheiden. Der Betrug war nur durch das Video einer Überwachungskamera nachweisbar. Die Kamera wurde durch ein Piktogramm ausgewiesen. Es handelte sich somit um eine offene Videoüberwachung.

Das BAG hielt die Verwertung des Überwachungsvideos für zulässig. Der Arbeitnehmer könne sich nicht auf eine Persönlichkeitsverletzung beziehen, wenn er eine Pflichtverletzung vorsätzlich begeht und hierbei von einer Überwachungskamera erfasst wird. Selbst wenn der Arbeitgeber gegen Löschpflichten (Art. 17 I DSGVO, § 35 BDSG) verstößt, bleibt das Videomaterial grundsätzlich verwertbar, sofern eine offene Überwachung vorliegt, kein ungerechtfertigter Grundrechtseingriff vorliegt und es keine andere Möglichkeit zur Prävention gab. „Datenschutz ist kein Tatenschutz“, so das BAG.  

Ein Beweisverwertungsverbot könne sich auch nicht aus Betriebsvereinbarungen ergeben. Im vorliegenden Fall bestand eine Betriebsvereinbarung, nach der „keine personenbezogene Auswertung von Daten“ erfolgen sollte. Zum einen lasse sich diese Vereinbarung nicht mit dem „Wohl des Betriebs“ i.S.d. § 2 Abs. 1 BetrVG verknüpfen. Zum anderen hätten Betriebsparteien keine Rechtsgrundlage, ein über die ZPO hinausgehendes Beweisverwertungsverbot zu vereinbaren. Der Arbeitgeber könne auch nicht daran gehindert werden, Tatsachenvortrag über betriebliche Geschehnisse zu halten. Gleichwohl könnten im Wege der Betriebsvereinbarung Zweck, Umfang und Aufbewahrungsfristen der Überwachung bestimmt werden.

Ausblick

Das Urteil bekräftigt nochmals das Recht der Arbeitgeber, in ihrem Betrieb grundsätzlich eine offene Videoüberwachung einzurichten. Zeichnet eine solche Kamera Pflichtverletzungen auf, die Kündigungen rechtfertigen können, darf dieses Material auch im Regelfall im Kündigungsschutzverfahren als Beweis verwertet werden.

Das Team von KESSLER berät Sie gerne in allen Fragen rund um das Kündigungsrecht, das Betriebsverfassungsrecht sowie sämtliche übrigen Bereiche des Arbeitsrechts.