Von Bettina Oltmann am 9. März 2023

Privatautonomie vs. Equal Pay – BAG entscheidet für Klägerin

Sachverhalt

Die Klägerin hatte 2017 zu einem Grundgehalt von 3.500 Euro brutto die Arbeit bei der Beklagten aufgenommen. Hinzu kam eine vom erzielten Umsatz abhängige Erfolgsbeteiligung. Ab August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, wonach das Grundentgelt entsprechend einer Deckungsregelung in den Jahren 2018 bis 2020 nicht mehr als 120,00 Euro brutto steigen sollte. Folglich ergab sich eine Grundvergütung von 3.620,00 Euro. Wie sich jedoch herausstellte, verdiente die Klägerin damit weniger als zwei ihrer männlichen Kollegen, die die gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichteten.

Einem der beiden Kollegen war zunächst das gleiche Angebot gemacht worden wie der Klägerin, welches dieser jedoch ablehnte. Dieser einigte sich letztlich mit der Beklagten bis Hinzutreten der leistungsabhängigen Vergütung auf ein Grundgehalt von 4.500,00 Euro brutto. Ab diesem Zeitpunkt wurde auch dem männlichen Mitarbeiter ein Grundgehalt von 3.500,00 Euro brutto zzgl. der leistungsabhängigen Zuzahlung zugesprochen. Im Juli 2018 wurde sein Gehalt jedoch auf 4.000,00 Euro brutto erhöht. Dies begründete der Arbeitgeber damit, dass der Arbeitnehmer Nachfolger einer ausgeschiedenen Mitarbeiterin im Vertrieb geworden sei. Mit der tarifvertraglichen Regelung zum Grundentgelt verdiente der männliche Kollege somit 4.120,00 Euro brutto.

Insofern klagte die Klägerin nunmehr auf die Zahlung der monatlichen Differenzbeträge, welche zwischen ihrem und dem Gehalt des männlichen Kollegen entstanden waren, sowie einer einmaligen Entschädigung.

Entscheidung des BAG

Das BAG entschied für die Klägerin und sprach dieser neben der Zahlung der Differenzbeträge einen Anspruch auf eine einmalige Entschädigung in Höhe von 2.000,00 Euro zu (BAG, 16.02.2023 – 8 AZR 450/21). Der Anspruch auf das gleiche Grundgehalt wie das der männlichen Kollegen ergebe sich aus Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG). Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundgehalt erhalten habe als ihre männlichen Kollegen, begründe die Vermutung nach § 22 AGG, dass diese Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei. Der Beklagten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere vermochte das Argument, dass die höhere Vergütung lediglich auf der Verhandlung durch den männlichen Kollegen beruhe, nicht zu überzeugen.

Hintergrund der Entscheidung

Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund des Themas des sog. „Gender Pay Gaps“ zu betrachten. Dass Frauen für die gleiche Arbeit nicht selten schlechter bezahlt werden als Männer, ist ein bekanntes Problem. Der unbereinigte „Gender Pay Gap“ soll derzeit bei 18% liegen. Dieses Thema wird nicht nur gesellschaftlich kontrovers diskutiert, sondern wurde mittlerweile auch vom Gesetzgeber als Problem begriffen, das einer rechtlichen Lösung bedarf. In der Folge trat 2017 das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft. Durch mehr Transparenz und den Anspruch auf Einblicke in die Entgeltstrukturen sollen Lohnlücken zwischen den Geschlechtern geschlossen werden. Die Auskunftsansprüche der Beschäftigten erstrecken sich dabei über die Angabe der Kriterien und dem Verfahren der Entgeltfindung bis hin zur Angabe eine sog. Vergleichsentgelts. Ferner regelt des EntgTranspG einen Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit.

Der Anwendungsbereich des EntgTranspG ist jedoch erst bei Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten eröffnet. Betriebliche Prüfverfahren sind erst ab einer Beschäftigtenzahl über 500 vorgesehen.

Auswirkungen und Fazit

Die Auswirkungen der Entscheidung dürften von enormer Bedeutung für die Praxis sein. Auf der einen Seite wird das Ziel der Entgeltgleichheit vorangetrieben. Auf der anderen Seite geht mit der Verfolgung dieses Zwecks eine Begrenzung der Vertragsautonomie einher. Eine Differenzierung aufgrund objektiver Gründe bleibt zwar weiterhin zulässig. Das Verhandlungsgeschick eines Kandidaten dient gleichwohl jedenfalls nicht als „objektiver Faktor“, der dem Arbeitgeber zur Widerlegung der Diskriminierungsvermutung des § 22 AGG verhilft. 

Arbeitgebern darf daher geraten werden, objektive Differenzierungskriterien zu protokollieren, sollte ein Gehaltsgefälle zwischen Arbeitnehmern mit vergleichbarer Beschäftigung unterschiedlichen Geschlechts bestehen. Abzuwarten sind nun die Entscheidungsgründe des BAG.

KESSLER berät Sie gern zu allen Fragen rund um das Thema Vertrags- und Gehaltsverhandlungen und Entgelttransparenzgesetz.