Von Michael Keßler am 11. April 2024

OLG München: Widerruf eines Testaments durch Durchstreichung durch Erblasserin

Das Oberlandesgericht (OLG) München entschied (Beschluss v. 13.10.2023, Az. 33 Wx 73/23) über eine Beschwerde gegen die Erteilung eines Erbscheins durch das Nachlassgericht. Dabei geht das OLG davon aus, dass bei Auffinden eines privatschriftlichen Testaments in der Wohnung der Erblasserin Veränderungen an der Urkunde von der Erblasserin selbst vorgenommen worden sind, sofern Dritte darauf keinen Zugriff hatten. Treten keine weiteren Umstände hinzu, kann davon ausgegangen werden, dass großflächige Durchstreichungen in Widerrufsabsicht der Erblasserin vorgenommen wurden. Mit vorliegender Entscheidung wurden wichtige Grundsätze des Erb- bzw. Testamentsrechts anschaulich verdeutlicht.

Zu den Parteien und zum Verfahren

Die Erblasserin verstarb im September 2020. Sie war geschieden und kinderlos. Sie hinterließ ein handschriftliches Testament vom 07.03.2020. In dem Testament setzte die Erblasserin ihren Lebensgefährten als Alleinerben ein. Das Testament weist über sämtliche Seiten jeweils mehrere Durchstreichungen auf, die den gesamten Text umfassen.

Der Lebensgefährte stellte beim Nachlassgericht einen Antrag auf Erlass eines Erbscheins. Mit Beschluss vom 21.04.22 kündigte dieses die Erteilung eines Erbscheins an. Es ging davon aus, dass das Testament durch die Durchstreichungen nicht widerrufen worden sei. Auf eine Beschwerde der Brüder der Erblasserin gegen die Erteilung des Erbscheins legte das Nachlassgericht dem OLG München den Fall zur Entscheidung vor. Das OLG gab der Beschwerde der Brüder statt und hob den Beschluss des Nachlassgerichts auf. Dies führte dazu, dass der Antrag des Lebensgefährten auf Erlass eines Erbscheins zurückgewiesen wurde.

Zum Widerruf einer testamentarischen Verfügung

Grundsätzlich kann ein Erblasser nach den Regeln der §§ 2253 ff. BGB sein Testament widerrufen. So kann ein Testament etwa dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser in der Absicht, es aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt (§ 2255 BGB). Hat der Erblasser die Urkunde vernichtet oder verändert, wird vermutet, dass er die Aufhebung des Testaments beabsichtigt hat.

Grundsätzlich ist der Widerruf eines Testaments von demjenigen zu beweisen, der sich darauf beruft, also hier den Brüdern. Befand sich die Urkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers und sind keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Veränderungen an der Urkunde von Dritten vorgenommen wurden, sind die Anforderungen an den Beweis, dass die Veränderung der Urkunde durch den Erblasser vorgenommen wurde, nicht hoch anzusetzen.

Entscheidung des OLG

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze entschied das OLG, dass die großflächigen Durchstreichungen, die sich über die gesamte Urkunde erstreckten, in Widerrufsabsicht der Erblasserin vorgenommen wurden. Der Lebensgefährte konnte keinen gegenteiligen Geschehensablauf darlegen. Zudem konnte ausgeschlossen werden, dass das Testament dem ungestörtem Zugriff Dritter ausgesetzt war. Das OLG ging mithin davon aus, dass die Veränderungen nicht durch einen Dritten vorgenommen wurden. Zwar verfügte der Lebensgefährte über einen Schlüssel der Wohnung, allerdings hatte dieser kein Interesse an der Veränderung eines ihm zugutekommenden Testaments. Die Brüder der Erblasserin hatten lediglich im Anschluss an die Beerdigung Zutritt zu der Wohnung der Erblasserin, in der sich das Testament befunden hatte. Es bestanden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich bei dieser Gelegenheit einen Schlüssel zu der Wohnung verschafft und das Testament später abgeändert hatten.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass bei einem teilweise durchgestrichenen Testament häufig von einem Widerruf des Testaments ausgegangen werden kann.  Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich Durchstreichungen auf sämtlichen Seiten des Testaments befinden. Wenn darüber hinaus lediglich der Erblasser Zugriff auf das Testament hatte und es vor dem Zugriff Dritter geschützt war, kann zudem davon ausgegangen werden, dass die Durchstreichungen auch von dem Erblasser vorgenommen wurden.

Das Team von KESSLER steht Ihnen mit langjähriger Erfahrung in sämtlichen Bereichen des Erbrechts gerne zur Seite. Darüber hinaus stehen Ihnen unsere Notare jederzeit für die Fertigung von rechtssicheren, notariellen Testamenten zur Verfügung.