Von Jan-Philipp Lautebach am 4. August 2023

Europäischer Gerichtshof: Verstoß gegen Übermittlungspflicht bei Massenentlassungsanzeigen führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung

Am 13.07.2023 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die EU-Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) auszulegen (Az.: C-134/22). Dabei hatte er nach Vorlage durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Frage zu klären, welche Auswirkungen ein Verstoß gegen die Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber der Bundesagentur für Arbeit bei anzeigepflichtigen Massenentlassungen hat.

Das Ergebnis: Die Vorschrift, aus der sich ergibt, dass der Arbeitgeber eine Abschrift des Konsultationsschreibens an die Bundesagentur übermitteln muss, ist keine Schutzvorschrift zugunsten der Arbeitnehmer. Wenn der Arbeitgeber der Bundesagentur für Arbeit das Konsultationsschreiben nicht übermittelt, wird dadurch nicht die Kündigung des Arbeitnehmers unwirksam.  

Hintergrund der Entscheidung

Eine Massenentlassung unterliegt diversen formellen Hürden. Zum Teil ist dafür eine Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit erforderlich. Die Anzeigepflicht ist gemäß § 17 Abs. 1 KschG daran geknüpft, wie viele Arbeitnehmer der Arbeitgeber innerhalb von 30 Tagen entlassen möchte. Gleichzeitig ist gemäß § 17 Abs. 2 der Betriebsrat zu beteiligen. Diese Mitteilung an den Betriebsrat ist gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KschG der Bundesagentur für Arbeit zuzuleiten. Um diese Übermittlungspflicht geht es in der vorgenannten Entscheidung des EuGH.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG führten Verstöße gegen die Anzeigepflicht aus § 17 KschG stets zur Unwirksamkeit der Kündigung. In dem hier zugrundeliegenden Fall hatte das BAG nun über die Frage zu entscheiden, ob dies auch für einen Verstoß gegen die Übermittlungspflicht aus § 17 Abs. 3 S. 1 KschG gilt. Diese Frage hatte das BAG dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied, dass die Vorschrift keinen Individualschutz für den einzelnen Arbeitnehmer habe. Der Bundesagentur für Arbeit komme hinsichtlich der Anzeige keine aktive Rolle zu. Sie sei lediglich Adressatin der Anzeige. Die Übermittlung der Informationen diene lediglich Informations- und Vorbereitungszwecken. Die zuständige Behörde soll hierdurch bereits zu einem frühen Zeitpunkt die negativen Folgen der beabsichtigten Massenentlassung abschätzen können.

Bedeutung der Entscheidung

Bisher hat das BAG angenommen, dass eine Kündigung bei Fehlern im Anzeige- und Konsultationsverfahren unwirksam sei. Diese Rechtsprechung dürfte sich nun ändern. Dies gilt allerdings lediglich in Bezug auf die Übermittlungspflicht aus § 17 Abs. 3 S. 1 KschG. Die Entscheidung betrifft insbesondere nicht das Konsultationsverfahren selbst, also die Beteiligung des Betriebsrats als solche. Auch im Übrigen bleibt noch unklar, inwieweit sich diese Entscheidung auf die übrigen Pflichten des Arbeitgebers im Rahmen des Anzeigeverfahrens auswirkt.

Die Entscheidung erfährt weitestgehend Zuspruch. Sie dürfte für die Zukunft eine Erleichterung für Arbeitgeber bedeuten. Die bisherige Rechtsprechung des BAG führte letztlich lediglich zu einer Verzögerung der Kündigung. Dies ist nun zumindest hinsichtlich der Übermittlungspflicht aus § 17 Abs. 3 S. 1 KschG nicht mehr der Fall. Nun bleibt abzuwarten, inwiefern sich diese Entscheidung auf die übrigen Nachweispflichten des § 17 KschG auswirken wird.

Haben Sie Fragen zum Thema Massenentlassungen oder Kündigungen im Allgemeinen? Das Team von KESSLER berät Sie gerne zu allen Fragen im Bereich des Arbeitsrechts.