Von Christine Behrens und Dr. Matthias Martens am 11. September 2023

Die Erteilung eines Erbscheins ohne vorliegendes Testament

In einer Entscheidung des Amtsgerichts (AG) Hameln (Beschluss vom 24.02.2023; Az: 18 VI 135/21, ErbR 2023, 556) ging es um die Erteilung eines Erbscheins durch das Nachlassgericht, auch ohne Vorliegen eines Originaltestaments.

Zu den Grundsätzen der Erbscheinerteilung

Erfährt das Nachlassgericht vom Versterben einer Person, des sogenannten Erblassers, prüft es zunächst, ob beim Gericht Verfügungen von Todes wegen bereits hinterlegt wurden und eröffnet diese. Finden Hinterbliebene nach Versterben des Erblassers in dessen Sachen ein Testament, so besteht die Pflicht, dieses im Original beim Nachlassgericht abzuliefern (§ 2259 BGB). Hat der Erblasser keine eigenen Verfügungen getroffen, gilt die gesetzliche Erbfolge.

Mittels eines Erbscheins, der durch das zuständige Nachlassgericht ausgestellt wird, können die Erben offiziell ihre Erbenstellung nachweisen. Der Erbschein weist dann entweder die gesetzliche oder eine gewillkürte Erbfolge (z.B. aufgrund von Testament oder Erbvertrag) aus.

Der Fall des AG Hameln – das nicht mehr auffindbare Testament

In dem zu entscheidenden Fall des AG Hameln behauptete die Antragstellerin des Erbscheins, beim Gericht einen großen Umschlag eingeworfen zu haben, in dem sich neben dem Anschreiben ein Testament der Erblasserin befunden habe, welches wiederum in einem eigenen kleineren Umschlag darin lag. Die Antragstellerin behauptete, ausweislich des Testaments Alleinerbin geworden zu sein. Den gesamten Vortrag bestritt die Antragsgegnerin und behauptete, die Erblasserin habe das Testament nach dessen Errichtung im Jahr 2017 vernichtet oder in sonstiger Weise widerrufen.   

Dem Nachlassgericht lag schließlich nur das Anschreiben vor, sodass zu ermitteln war, ob es tatsächlich ein (verloren gegangenes) Testament gegeben hat, das die Antragstellerin zur Alleinerbin erklärte.

Ermittlung der konkreten Umstände der Testamentserstellung  

Das Gericht kam schließlich im Rahmen einer umfangreichen Beweisaufnahme zu dem Schluss, dass die Erblasserin tatsächlich ein Testament erstellt hatte, in welchem die Antragstellerin als Alleinerbin eingesetzt wurde. Man zog hierbei unter anderem die Aussage einer Rechtsanwältin hinzu, bei der sich die Erblasserin im Vorfeld hatte beraten lassen. Schließlich wurde vermutet, dass der kleinere Umschlag bei der Postöffnung im Gericht übersehen und zusammen mit dem großen Umschlag entsorgt wurde.

Erteilung des Erbscheins auch ohne vorliegendes Testament

Nach Auffassung des Gerichts stehe einer Ausstellung des Erbscheins nicht entgegen, dass das Originaltestament nicht mehr vorliege. Es sei allein maßgeblich, dass das Nachlassgericht zu der Überzeugung gelange, dass die Erblasserin ein formwirksames Testament erstellte. Gleichzeitig wiesen die Richter darauf hin, dass die Antragsgegnerin den behaupteten Widerruf des Testaments durch die Erblasserin nicht habe beweisen können. Ihr obliege jedoch der Beweis für einen Testamentswiderruf durch Vorlage eines anderslautenden Testaments oder den Nachweis einer willentlichen Vernichtung des alten Testaments. 

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