Von Jan-Philipp Lautebach und Lennart Matzke am 18. April 2023

BAG: Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer bei Annahmeverzug im Kündigungsschutzprozess

Das Bundesarbeitsgericht endschied am 27.05.2020, dass dem Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess ein Auskunftsanspruch darüber zusteht, welche Vermittlungsvorschläge die Bundesagentur für Arbeit und das Jobcenter dem Arbeitnehmer unterbreitet haben.

Ausgangssituation

Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitnehmer nach erfolgreichem Kündigungsschutzprozess einen Anspruch auf die ursprünglich geschuldete Vergütung hat, wenn dieser den Arbeitgeber durch Anbieten seiner Arbeitsleistung in Annahmeverzug gesetzt hat. Dabei ist der Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet, seine Leistung für die Vergangenheit nachzuholen. Vielmehr muss der Arbeitgeber zahlen, ohne dass er eine Gegenleistung erhält. Bei langwierigen Kündigungsschutzprozessen kann dies dazu führen, dass der Arbeitgeber Lohnfortzahlungsansprüchen ausgesetzt ist, die sich auf viele Monate oder gar Jahre erstrecken. 

Anrechnung von böswillig unterlassenem Erwerb

Diesem Risiko können Arbeitgeber zwar grundsätzlich damit begegnen, dass sie den Arbeitnehmer während der Dauer des Kündigungsschutzprozesses weiter beschäftigen. Dies wird jedoch häufig aufgrund des zerrütteten Arbeitsverhältnisses nicht im Interesse des Arbeitgebers sein.

Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn kann jedoch auch unter bestimmten Voraussetzungen gekürzt sein.  Der Arbeitnehmer muss sich nämlich dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 615 S. 2 BGB).

Wenn der Arbeitnehmer „vorsätzlich grundlos Arbeit ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm Arbeit angeboten wird“ (BGH, Urt. v. 16.05.2000 – 9 AZR 203/99), dann wird dieser hypothetische Verdienst auf den Annahmeverzugslohn angerechnet.

Beweisschwierigkeiten

Der Arbeitgeber trägt allerdings die Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer es tatsächlich böswillig unterlassen hat, ein zumutbares Arbeitsangebot anzunehmen.

Die Erbringung dieses Beweises bereitet dem Arbeitgeber in der Praxis regelmäßig erhebliche Probleme. Im Regelfall wird er nämlich über die konkreten Stellenangebote des Arbeitnehmers keine Kenntnis haben und der Arbeitnehmer wird ihn auch nicht darüber informieren.

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers über Vermittlungsvorschläge der BA und des Jobcenters

Auch das BAG hat diese Problematik erkannt. Es sprach dem Arbeitgeber in seinem Urteil vom 27.5.2020 (5 AZR 387/19) einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer, über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten, Vermittlungsvorschläge zu.

Dieser Anspruch beinhaltet eine Auskunft über die genaue Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort sowie die Vergütung der angebotenen Stellen. Hierdurch wird es für den Arbeitgeber leichter zu beweisen, dass ein Vermittlungsvorschlag für den Arbeitnehmer zumutbar war und die Ablehnung des Vorschlags ein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers darstellt.

Auswirkungen auf Kündigungsschutzprozesse

Das Urteil des BAG stellt einen zu begrüßenden Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar. Bisher hing das Risiko des Annahmeverzugslohns in Kündigungsschutzprozessen häufig wie ein Damoklesschwert über dem Arbeitgeber, was häufig zu erheblichen Zugeständnissen in Prozessvergleichen geführt hat.

Dieses Risiko wird durch das Urteil zwar nicht beseitigt. Es wird jedoch dadurch abgemildert, dass nunmehr auch auf den Arbeitnehmer Druck ausgeübt werden kann, ein anderweitiges Arbeitsangebot anzunehmen oder eine Ablehnung zumindest angemessen zu rechtfertigen. Für den Arbeitsnehmer entsteht so das Risiko, dass er die Ablehnung eines Vermittlungsvorschlags nicht ausreichend rechtfertigen kann und das Prozessgericht diese Ablehnung als böswilliges Unterlassen einstuft.

Hierdurch entsteht wiederum für den Arbeitnehmer das nicht zu vernachlässigende Prozessrisiko, dass er selbst im Falle des Obsiegens keinen vollständigen Annahmeverzugslohn erhält. Dies stärkt die Verhandlungsposition des Arbeitgebers und dürfte deshalb in Zukunft zu ausgeglicheneren Prozessvergleichen führen.