Von Jan-Philipp Lautebach und Lennart Matzke am 7. Dezember 2022

Arbeitszeiterfassung ist Pflicht – Urteilsgründe des BAG liegen vor

Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und damit die Pflicht zur Bereitstellung entsprechender Systeme für Arbeitgeber ist seit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21) besiegelt. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung dieser Verpflichtung bestanden derweilen noch erhebliche Unsicherheiten und Fragen. Mit der lang ersehnten Veröffentlichung der Entscheidungsgründe bringen die Richter des 1. Senats nun einerseits Licht ins Dunkle, weisen jedoch gleichermaßen auf die weiterhin gesetzgeberisch bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten hin.

Bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems genügt nicht

Bereits bekannt war, dass die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung nicht etwa aus dem Arbeitszeitgesetz, sondern vielmehr aus dem Arbeitsschutzgesetz, genauer § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, folgen soll (wir berichteten am 04.11.2022). Dies wird insbesondere mit dem weiten Wortlaut der Norm begründet. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG wird der Arbeitnehmer nämlich verpflichtet „zur Planung und Durchführung der Maßnahmen“ zum Zwecke des Arbeits- und Gesundheitsschutzes „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“. Nach unionsrechtskonformer Auslegung umfasse dies nicht nur die Bereitstellung sondern erfordere auch die tatsächliche Nutzung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen“ (vgl. EuGH Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18, Rn. 60) Systems zur Arbeitszeiterfassung.

Für wen gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Die Pflicht bezieht sich grundsätzlich, nach der Auffassung des BAG, auf alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer iSd. § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Dies gelte jedoch nicht zwingend. Sofern der Gesetzgeber für Arbeitnehmer, deren Arbeitszeiten aufgrund der Umstände der jeweiligen Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorbestimmt werden könne, gesetzliche Ausnahmen vorsähe, seien diese auch hier zu berücksichtigen. In concreto bedeutet dies, dass allen voran leitende Angestellte, aber auch Beschäftigte der Binnenschifffahrt, der Luftfahrt oder des Straßenverkehrs von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind.

Elektronisch oder analog? Durch den Arbeitgeber oder Delegation an die Arbeitnehmer?

Insbesondere mit Blick auf die Umsetzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung genießen die Arbeitgeber (noch) einige Freiheiten. Ausdrücklich formulieren die Richter des BAG, dass die Arbeitszeiterfassung nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen müsse. Auch könnten, je nach Tätigkeit und Unternehmen, Aufzeichnungen in Papierform genügen. Vordergründig sei, dass der mit der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung verfolgte Zweck, nämlich die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, nicht wirtschaftlichen Interessen weichen müsse.

Ferner enthält der Beschluss keine ausdrückliche Antwort auf die Frage, ob die Arbeitszeiterfassung ausschließlich in den Aufgabenbereich des Arbeitgebers gehört, oder ob dies auf die Arbeitnehmer übertragen werden darf. Insbesondere mit Blick auf die eher allgemein gehaltenen Anforderungen an das einzusetzende System, dürfte eine Delegation an die Arbeitnehmer zulässig sein. Wichtig und Aufgabe des Arbeitgebers ist die Sicherstellung, dass die Arbeitszeiterfassung auch tatsächlich erfolgt. 

Folgen der Entscheidung für Unternehmen

Wie eingangs angekündigt, vermag die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe mithin etwas Klarheit zu verschaffen. In jedem Fall ist ein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Bei der Wahl der „Form“ dieses Systems genießt der Arbeitgeber (jedenfalls noch) Gestaltungsfreiheit, es muss „lediglich“ die Eigenheiten der betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und des Unternehmens, insbesondere die Größe, angemessen berücksichtigen. Auch kann de lege lata und nach der Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden, dass der Arbeitgeber das Thema Arbeitszeiterfassung an die Arbeitnehmer selbst delegiert.

Aller Voraussicht nach wird das Thema jedoch in Bewegung bleiben, da eine Reaktion des Gesetzgebers wahrscheinlich ist. Eine grundsätzliche Absage wird der Gesetzgeber der Arbeitszeiterfassung zwar nicht mehr erteilen können, gleichwohl erscheint es realistisch, dass die zum Teil noch offenen Fragen angegangen und konkretisiert werden. So könnte der Gesetzgeber beispielsweise Kleinbetriebe von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung entbinden. Ferner haben die Betriebsräte nach jetzigem Stand noch ein Mitbestimmungsrecht was die Ausgestaltung des Systems zur Arbeitszeiterfassung anbelangt. Wenn der Gesetzgeber dahingehend jedoch konkretere Vorgaben machte, entfiele ggf. auch dieses. Ob und wie der Gesetzgeber reagiert, bleibt jedoch abzuwarten.

Auch wenn die Arbeitszeiterfassung gesetzlich verpflichtend ist, dürften keine unmittelbaren Geldbußen bei Verstößen drohen. Zwar sind Verstöße gegen das ArbSchG dem Grunde nach bußgeldbewehrt, vgl. § 25 ArbSchG, gleichwohl bedürfen diese erst einer konkreten Anordnung durch die zuständige Behörde, vgl. § 22 Abs. 3 ArbSchG.

Gerne beraten wir Sie rund um das Thema Arbeitszeiterfassung.