Von Jan-Philipp Lautebach und Marcel Renken am 14. Dezember 2022

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung naht – Fluch oder Segen?

Ab dem 01.01.2023 entfällt die Pflicht zur physischen Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. des sog. „gelben Scheins“ der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber. Warum dies nicht nur Erleichterung mit sich bringt, sondern auch Komplikationen birgt, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Status quo

Grundsätzlich ergeben sich für den erkrankten und arbeitsunfähigen Arbeitnehmer zwei Pflichten – zum einen die sog. Anzeigepflicht, zum anderen die sog. Nachweispflicht. Erstere folgt aus § 5 Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG). Dort ist normiert, dass der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich dem Arbeitgeber anzuzeigen hat. Diese Anzeige ist grundsätzlich zunächst an keine Form gebunden. Die weitergehende Nachweispflicht trifft den Arbeitnehmer erst, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauert, vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG. Spätestens ab dem vierten Tag muss der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, welche das Bestehen und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nachweist. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger an, als in der Bescheinigung ausgewiesen, ist eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen, vgl. § 5 Abs. 1 S. 4 EFZG. Vertraglich können die Parteien derweilen einen früheren Zeitpunkt für diese Nachweispflicht vereinbaren, vgl. § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG.

Hierfür erhält der Arbeitnehmer derzeit einen Vordruck in dreifacher Ausführung, wobei ein Exemplar für den Arbeitnehmer, eines für die Krankenkasse und ein letztes für den Arbeitgeber bestimmt ist. Da der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die Art seiner Erkrankung mitzuteilen, enthält das Exemplar für den Arbeitgeber keine Angaben zur Diagnose.

Was ändert sich?

Zunächst soll der § 5 EFZG um einen neuen Absatz, Absatz 1a, erweitert werden. Nach § 5 Abs. 1a EFZG n.F. sollen gesetzlich versicherte Arbeitnehmer, von den Verpflichtungen des Absatzes 1 S. 2 bis 5 ausgenommen sein. Diese werden vielmehr verpflichtet, zu den in Abs. 1 S. 2 bis 4 genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach Abs. 1 S. 2 oder 4 aushändigen zu lassen. Damit entfällt die Vorlagepflicht der Arbeitnehmerunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich für den gesetzlich versicherten Arbeitnehmer. Von dieser Neuregelung nicht betroffen sind geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten und in Fällen, in denen die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Vertragsarzt erfolgen soll, vgl. § 5 Abs. 1a S. 3 EFZG n.F.

Ferner wird § 295 Abs. 1 SGB V n.F. mit Vorgaben für die Ärzte angereichert. Danach sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen verpflichtet unter anderem die festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten und die von ihnen erbrachten Leistungen aufzuzeichnen und elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln, vgl. § 295 Abs. 1 SGB V n.F.

Zudem wird § 109 SGB IV n.F. für die Krankenkassen dahingehend geändert, dass diese nach Erhalt der nach § 295 Abs. 1 S. 1 Nummer 1 SGB V durch den Arzt zu übermittelnden Daten, eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber bereitzustellen haben, die alle wesentlichen Informationen enthält.

Demzufolge hat der Arbeitnehmer ab dem 01.01.2023 zunächst den Arbeitgeber unverzüglich über seine Arbeitsunfähigkeit und dessen Dauer zu informieren. Sofern diese durch einen Arzt festgestellt wurde, erfolgt keine Ausstellung einer physischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Arbeitgeber. Vielmehr übermittelt der Arzt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung elektronisch an die Krankenkasse, die wiederum eine Meldung in elektronischer Form für den Arbeitgeber abrufbar bereitstellt. Der „gelbe Schein“ wird zwar in seiner bisherigen Form abgeschafft, jedoch nicht gänzlich passé. Vielmehr bleibt auch die physische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert erhalten“ (BT-Drs. 19/13959, S. 37), ist jedoch künftig vom Arzt nur noch in einfacher Ausfertigung dem Arbeitnehmer auszuhändigen.

Vorteile und Nachteile

Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialen intendierte der Gesetzgeber mit dieser Gesetzesänderung eine erhebliche Entlastung, sowohl für Arbeitnehmer, als auch für Arbeitgeber. Für den Arbeitnehmer entfällt die Pflicht zur Vorlage einer physischen Bescheinigung, welche die Arbeitsunfähigkeit nachweist.

Eine Schwäche an der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der Weiterleitung über Ärzte und Krankenkassen ist jedoch zunächst die hohe Fehleranfälligkeit. Störfälle im Meldeprozess, technische Probleme oder gar die Weiterleitung an eine falsche Krankenkasse sind hierbei, insbesondere in der Anfangsphase, durchaus zu erwarten.  Nachteilig vermag sich dies in erster Linie für den Arbeitgeber auszuwirken. Nach § 7 EFZG darf dieser nämlich die Leistung in Gestalt der Entgeltfortzahlung verweigern, solange der Arbeitnehmer die „von ihm vorzulegende“ ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt. Mit dem Entfallen der Vorlagepflicht des Arbeitnehmers könnte sich dieses Leistungsverweigerungsrecht zum zahnlosen Tiger entwickeln und dem Arbeitgeber sämtliche Reaktionsmöglichkeiten auf einen fehlenden Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nehmen. Ob ein vertraglich vereinbartes Leistungsverweigerungsrecht zulässig wäre, erscheint unter Berücksichtigung des § 12 EFZG zweifelhaft.

Eine Verpflichtung zur Vorlage der dem Arbeitnehmer ausgestellten, physischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dürfte vor dem Hintergrund, dass diese regelmäßig Informationen zur Art der Erkrankung enthalten, ausgeschlossen sein. Gleichwohl könnte sich gerade in kleineren Unternehmen ein faktischer Zwang zur Vorlage ergeben, wenn der Arbeitgeber ohne Rechtsgrundlage und zu Unrecht die Entgeltfortzahlung verweigert. Damit würde sich das von gesetzgeberischer Seite intendierte Hilfsmittel für den Arbeitnehmer als Weg durch die Hintertür für den Arbeitgeber entpuppen, an Informationen zu gelangen, die ihn nichts angehen. Dabei ist vor allem zu bedenken, dass der Arbeitnehmer nicht kontrollieren kann, ob die vom Arbeitgeber behauptete Störung tatsächlich besteht.

Fazit und Empfehlung

Ein Fortschreiten der Digitalisierung und Abbau der Bürokratie, auch im Gesundheitswesen, war längst überfällig und ist daher dem Grunde nach zu begrüßen. Die Neuregelungen bringen dennoch ein hohes Konfliktpotenzial mit sich.

Ein sofortiger Anpassungsbedarf bestehender Arbeitsverträge dürfte nicht notwendig sein.

Empfehlenswert ist jedoch, die Arbeitsvertrags-Muster für die Zukunft an der neuen Rechtslage auszurichten. Inhaltlich sollten die jeweiligen Klauseln insbesondere wiedergeben, dass die Neuregelung nicht für die Arbeitnehmer gilt, die privat krankenversichert sind.

Gerne beraten wir Sie zu allen Fragen um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.