
„AGG-Hopper“: Rechtsmissbräuchliche Entschädigungsforderung wegen Geschlechtsdiskriminierung
Hintergrund
Das Thema Diskriminierung ist nicht nur politisch in aller Munde, sondern beschäftigt auch vielfach die Gerichte. Insbesondere in dem Bereich des Arbeitsrechts geht es dabei häufig um das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG). Dieses verbietet Arbeitgebern ausdrücklich eine Diskriminierung „wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. Verstößt er hiergegen, droht ihm unter anderem ein Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers. Besonders häufig ist diese Konstellation anzutreffen, wenn ein erfolgloser Bewerber glaubt, aus den o.g. Gründen abgelehnt worden zu sein.
Dies hat in der Praxis jedoch desweilen dazu geführt, dass der Vorwurf der Diskriminierung nur als Vorwand erhoben wurde, um eine Entschädigung zu verlangen. Diese sog. „AGG-Hopper“ sind bereits einschlägig aus diversen Fällen bekannt. Meistens geht es um Fälle, in denen ein Bewerber das Ziel verfolgt, eine „diskriminierende“ Ablehnung zu provozieren. Über einen weiteren solchen Fall hatte jüngst das BAG zu entscheiden.
Sachverhalt
Der Kläger (ein Mann) bewarb sich in den Jahren 2021 und 2022 vielfach und mit dem immer gleichen Wortlaut auf Stellenausschreibungen, in denen eine „Sekretärin“ gesucht wurde. In den Bewerbungen stellte der Kläger stets die Frage, ob der Arbeitgeber ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau, suche. Auf seine Bewerbungen erhielt der Kläger stets eine Absage bzw. keine Rückmeldung. Teilweise wurde ihm ausdrücklich mitgeteilt, dass nur eine Frau gesucht werde. Nach jeder Ablehnung verlangte der Kläger eine Entschädigung und leitete aus diesem Grund eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren ein. Diese Klagen wurden stets mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruches.
Gegenstand der BAG-Entscheidung war einer dieser Fälle. Hier hatte sich der Kläger auf eine Stelle als „Bürokauffrau / Sekretärin“ beworben. Er erhielt hierauf keine Antwort. Die Stellenanzeige wurde gelöscht und mit einer Frau besetzt. Der Kläger forderte anschließend die Zahlung einer Entschädigung. Nachdem die Klage in der ersten und zweiten Instanz abgewiesen wurde, landete der Fall beim Bundesarbeitsgericht (BAG). Dieses bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen.
Keine Entschädigung bei rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung des Diskriminierungsvorwurfs
Das BAG bestätigte die Auffassung der Vorinstanzen, nach der das Verhalten des Klägers rechtsmissbräuchlich war. Dies sei anzunehmen, sofern die Person sich nicht beworben habe, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr nur darum ginge, den formalen Status als Bewerber i.S.d. AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen.
Entschädigungsforderungen als „Geschäftsmodell“
Es sei zu erkennen gewesen, dass es sich bei dem Vorgehen des Klägers um ein „Geschäftsmodell“ handele. Dieser sei „systematisch“ und „zielgerichtet“ vorgegangen. Es sei ihm v.a. darum gegangen, durch die Erlangung von Entschädigungszahlungen eine zusätzliche Einnahmequelle zu erlangen.
Erkennbar sei dies aus der Vielzahl an vergangenen Fällen, in denen sich der Kläger in verschiedenen Bundesländern ebenfalls auf Stellen als Sekretärin beworben hatte. Hierbei „optimierte“ der Kläger im Laufe der Zeit sein Vorgehen, indem er an seiner Bewerbung mehrfach genau die Passagen anpasste, die von den Gerichten zuvor moniert wurden.
Die „Optimierungen“ betrafen jedoch stets nur formelle Aspekte der Bewerbung. So habe der Kläger versucht, formelle Indizien für einen Rechtsmissbrauch zu eliminieren. Eine inhaltliche Optimierung erfolgte jedoch nicht. Stattdessen seien die Bewerbungen inhaltlich offenkundig bewusst auf einem „möglichst aussichtslosen Niveau“ gehalten. Die Bewerbung sei allgemein und nicht stellenbezogen formuliert, der Lebenslauf sei völlig nichtssagend und es wurden keinerlei Nachweise – wie etwa Zeugnisse – eingereicht. Die Bewertung sei aufgrund ihrer objektiven Erscheinung geradezu darauf ausgelegt gewesen, eine Absage zu provozieren. Insbesondere habe der Kläger in seiner Bewerbung in provozierender Wiese versucht, eine Ablehnung aufgrund seines Geschlechts zu erzielen. Weiteres Indiz für den Rechtsmissbrauch war die große Distanz zwischen dem Wohnort des Klägers und der betreffenden stelle, nämlich ca. 170 km.
Hinweise für die Praxis
Zwar wurde im vorliegenden Fall der Entschädigungsanspruch aufgrund des Rechtsmissbrauchs abgelehnt. Das BAG betont jedoch, dass an das Vorliegen von Rechtsmissbrauch hohe Anforderungen zu stellen sind. Die Beweislast für Rechtsmissbrauch trifft zudem vollständig den Arbeitgeber.
Insofern ist Arbeitgebern dringend zu raten, die Vorgaben des AGG zu beachten, da ein Verstoß, sei er auch unabsichtlich, schnell teure Folgen haben kann. Dies gilt insbesondere für eine AGG-konforme Formulierung von Stellenausschreibungen. Insbesondere nicht geschlechtsneutrale Formulierungen wie „Sekretärin“ sind ein Einfallstor für Diskriminierungsvorwürfe.
Das Team von KESSLER berät sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber gerne in allen Fragen rund um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sowie sämtlichen weiteren Bereichen des Arbeitsrechts.