Urlaubsanspruch und „Kurzarbeit (Null)“
Was passiert mit dem Urlaubsanspruch während Kurzarbeit?
Die Frage, ob eine Verminderung des Urlaubsanspruchs infolge von Kurzarbeit eintritt, ist umstritten und bisher in Deutschland nicht abschließend höchstrichterlich geklärt. Eine gesetzliche Regelung, die ausdrücklich die Höhe des Urlaubsanspruchs bei Kurzarbeit festlegt, gibt es sowohl auf nationaler als auch auf europarechtlicher Ebene nicht.
EuGH: Verminderung des Urlaubsanspruchs zulässig
In den zwei einschlägigen EuGH Urteilen (vgl. EuGH, 08.11.2012 – C-229/11 und C-230/11) kommt der EuGH zum Ergebnis, dass eine Verminderung des Urlaubsanspruchs infolge von Kurzarbeit grundsätzlich zulässig ist. Kurzarbeiter seien als vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer anzusehen, weil ihre Situation faktisch mit der von Teilzeitbeschäftigten vergleichbar sei. Urlaub sei ein Zeitraum zur Erholung von der Ausübung der ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben. Das Erholungsziel setze also voraus, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeit ausgeübt hat. Daher seien Ansprüche auf Urlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrages tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen. Eine Verminderung des Urlaubsanspruchs entsprechend der tatsächlich geleisteten Arbeit hält der EuGH für europarechtskonform.
Arbeitsgerichte mit ähnlichen Urteilen
Auch auf nationaler Ebene gibt es bereits Rechtsprechung.
Das LAG Hamm lehnte eine Klage auf Urlaubsentgelt ab (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 30.08.2017 – 5 Sa 626/17). In diesem Fall gab es allerdings eine Regelung im Sozialplan, dass der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsausfalls wegen der Kurzarbeit keinen Anspruch auf Urlaub hat. Das LAG Hamm entschied, dass der gesetzliche oder vertragliche Urlaubsanspruch proportional zu den tatsächlichen Arbeitstagen umzurechnen ist. Trotz Zulassung der Revision gegen dieses Urteil kam es zu keinem Revisionsverfahren. Das Urteil des LAG Hamm wurde somit rechtskräftig.
Das Arbeitsgericht Essen hatte im Oktober 2020 einen ähnlichen Fall zu entscheiden (vgl. Arbeitsgericht Essen, Urteil vom 06.10.2020 – 1 Ca 2155/20). Der Arbeitnehmer, welcher mehrere Monate in Kurzarbeit „Null“ war, wollte festgestellt wissen, dass ihm ein ungekürzter Jahresurlaub zusteht, während der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch proportional zu dem Zeitraum der Kurzarbeit gekürzt hat. Das Arbeitsgericht Essen wies die Klage des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber ab. Das Gericht verwies auf die oben genannten Entscheidungen des EuGH und hielt eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs für die Zeit, die sich der Arbeitnehmer in Kurzarbeit befunden hat, für rechtens. Das erstinstanzliche Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Das BAG hat sich mit der hiesigen Fragestellung noch nicht auseinandergesetzt.
Kurzarbeit als Möglichkeit zur Erholung
Die Verminderung des Urlaubsanspruchs steht in Einklang mit der bisher ergangenen Rechtsprechung. Arbeitnehmer könnten sich während Kurzarbeit ausruhen und Freizeittätigkeiten nachgehen. Sie können sich erholen. Kurzarbeit soll nicht als Urlaub gewertet werden, die Urlaubsansprüche sollen vielmehr an die verringerte Arbeitspflicht angepasst werden.
Keine Ungleichbehandlung
Eine Ungleichbehandlung mit den Arbeitnehmern, die nicht in Kurzarbeit sind und daher nach wie vor ihren vollen Urlaubsanspruch haben, liegt nicht vor. Denn für die bestand eine Arbeitspflicht, weshalb es sich um unterschiedliche, nicht vergleichbare Sachverhalte handelt.
Ansammlung von Urlaubsansprüchen gegen Zweck der Kurzarbeit
Der Gesetzgeber hat Regelungen geschaffen, nach denen im ruhenden Arbeitsverhältnis Urlaubsansprüche entstünden (z. B. § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG und § 4 ArbPlSchG). Eine solche spezielle Regelung fehlt für Fälle von Kurzarbeit. Die Untätigkeit spricht in diesem Bereich dafür, dass der Gesetzgeber keine solche Privilegierung beabsichtigt. Im Übrigen könnte der Zweck der Kurzarbeit, Entlassungen zu vermeiden, gefährdet werden, wenn Arbeitgeber damit rechnen müssen, dass sie nach Aufhebung der Kurzarbeit noch die angesammelten Urlaubsansprüche realisieren müssen.
Vorsicht: Entscheidungen der Arbeitsgerichte nicht vorhersehbar
Es sollte beachtet werden, dass wohl die meisten Arbeitnehmer die aktuelle Situation auch aus ihrer Sicht als belastend ansehen und damit die Kurzarbeit nicht als erholsam im Sinne eines Jahresurlaubs empfinden. Es ist daher möglich, dass Arbeitnehmer sich gegen die Kürzung ihres Jahresurlaubs sträuben werden.
Zudem ist zweifelhaft, ob das Bundesarbeitsgericht entscheidet, dass eine Verringerung der Urlaubsansprüche nach deutschem Recht (im Lichte des Unionsrechts interpretiert) während der Kurzarbeit stets automatisch eintritt oder es einer gesonderten Kürzungserklärung des Arbeitgebers oder einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien bedarf.
Erste richtungsweisende Entscheidung zur Urlaubskürzung bei „Kurzarbeit Null“
Das LAG Düsseldorf hat nunmehr mit Urteil vom 12. März 2021 zum Az.: 6 Sa 824/20 bestätigt, wovon ganz überwiegend bereits ausgegangen worden ist. Während der „Kurzarbeit Null“ liegt keine Rechtfertigung für das Bestehen von Urlaubsansprüchen vor und der Urlaubsanspruch kann gekürzt werden. Das LAG Düsseldorf hat zudem eine einseitige Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers angenommen, gleichzeitig aber auch die Revision zugelassen. Möglicherweise wird also das BAG die Gelegenheit bekommen, über die für die Praxis sehr relevante Frage zu entscheiden, ob der Urlaubsanspruch vom Arbeitgeber nur auf der Grundlage einer Vereinbarung oder auch einseitig gekürzt werden kann.
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