EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung
Mit einem breit diskutierten Urteil vom 14. Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof (Az. C-55/18) entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet werden müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit von Mitarbeitern erfasst werden kann. Die Entscheidung war lange erwartet worden, wobei bereits die Schlussanträge des Generalanwalts im Januar 2019 diese Tendenz erkennen ließen.
Was ist passiert?
Eine spanische Gewerkschaft hatte die Deutsche Bank als Arbeitgeber verklagt und verlangt, dass ein System zur Zeiterfassung der Mitarbeiter eingerichtet wird. Die Gewerkschaft vertrat die Auffassung, aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Arbeitszeitrichtlinie ließe sich ableiten, dass die monatlich geleisteten Überstunden ermittelt und überprüft werden müssen. In Spanien würden 53,7 % der Überstunden nicht erfasst. Der Spanische Nationale Gerichtshof hat die Frage dem EuGH zur Prüfung vorgelegt.
Was sagt der EuGH?
Der EuGH hat nunmehr entschieden, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu ergreifen haben, um tägliche und wöchentliche Ruhezeiten einzuhalten. Ohne ein entsprechendes System könne nach Ansicht der Luxemburger Richter nicht garantiert werden, dass der Arbeitnehmer seine Rechte durchsetzen kann. Dies betrifft insbesondere Ruhezeiten und Vergütung für Überstunden. Das Gericht folgte damit im Wesentlichen dem Generalanwalt und der Argumentation der spanischen Gewerkschaft. Ziel sei ein effektiver Arbeitnehmerschutz. Nur durch ein vollständiges Arbeitszeitsystem könnten objektive und valide Daten geschaffen werden.
Bislang müssen in Deutschland gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz lediglich Überstunden erfasst werden, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehen. Das bedeutet, dass die nationalen Regelungen zur Arbeitszeiterfassung nicht ausreichend sind.
Was sind die Folgen?
Die Entscheidung des EuGH ist nichts weniger als eine Zeitenwende. Unternehmen müssen sich auf erheblichen bürokratischen Mehraufwand einstellen. Vertrauensarbeitszeit dürfte damit der Vergangenheit angehören. Allerdings bietet gerade diese dem Arbeitnehmer im Hinblick auf Flexibilität einen erheblichen Gestaltungsfreiraum. Bereits heute gehören mobiles Arbeiten und Homeoffice zum Standard in der modernen Arbeitswelt.
Gerade im Dienstleistungsbereich werden folglich erhebliche Veränderungen eintreten. Systeme müssen überarbeitet oder erstmalig integriert werden.
Der deutsche Gesetzgeber muss nun aktiv werden und die Vorgabe des EuGH umsetzen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie auf nationaler Ebene mit den veränderten Gegebenheiten umgegangen wird. Denn der EuGH wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass möglicherweise Ausnahmen für besondere Einzelfälle gemacht werden könnten.
Auch wenn zunächst bürokratische Hürden resultieren, besteht gleichzeitig die Chance auf eine neue Debatte zu den Themen „Arbeit 4.0“ und „New Work“.
Ihre Ansprechpartner: Jan-Philipp Lautebach, Rechtsanwalt und Lennart Matzke, Rechtsanwalt